Neue Tarifmerkmale grundsätzlich positiv?
Die „Luxusversicherung“, gemeint ist absurderweise die Berufsunfähigkeitsversicherung, gewinnt seit Jahren immer mehr Tarifmerkmale hinzu. Die Teil-Arbeitsunfähigkeitsklausel und die Sofortleistungen bei „Schweren Krankheiten“ u.a. sind darunter.
Der Vermittler hat zwischen den einzelnen Definitionen, die bei „Schweren Krankheiten“ zum Leistungsfall führen (können) zu unterscheiden. Er wird damit m.E. zum Regulativ. Die Alte leipziger, die Leistungen bei einer Krebserkrankung verspricht, setzt eine Operation als bereits erfolgt voraus. In der Arztanordnungsklausel hingegen verzichtet sie auf operative Maßnahmen. Blutkrebs, Lymphdrüsenkrebs und andere Krebsarten sind in der Therapie frei von Operationen. Ist die Auszahlung einer solchen Leistung einem Eintritt in den Leistungsfall gleichzusetzen? Dannn wäre es ein befristetes Anerkenntnis mit den dazugehörigen Nachteilen für den Versicherten.
Die Arbeitsunfähigkeitsklausel.
Sie wurde ins Leben gerufen, im Leistungsfall nahtlos aneinandergrenzende Versicherungsleistungen zu ermöglichen. Achtung! Manche Anbieter leisten nur bei Angestellten.
Das ursprüngliche Problem:
Privates Tagegeld definiert Arbeitsunfähigkeit in den Musterbestimmungen (MBKT) wie folgt:
- Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen.
- Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.
Berufsunfähigkeit ist wie folgt definiert:
- Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich für mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außer Stande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben. Auf eine abstrakte Verweisung wird verzichtet.
Die Unterscheidung liegt in den Formulierungen „in keiner Weise tätig“ und „voraussichtlich sechs Monate zu mindestens 50 % außer Stande“. Der Tagegeldversicherer definiert den Leistungsfall anders als die Lebensversicherung. Die Möglichkeit, dass beide Leistungen aufgrund ihrer Bestimmungen ablehnen ist damit gegeben. Es gibt keine Schnittmenge, die ein Entweder – oder erzwingen würde.
Die Rechtsprechung:
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (4 U 295/97 v. 28.04.1998) sah keine unangemessene Benachteiligung des Versicherten in dem Sachverhalt, das Tagegeldleistung und Berufsunfähigkeitsleistung nicht lückenlos aneinander anschließen.
Abhilfe konnte nur eine Arbeitsunfähigkeitsklausel in der Lebensversicherung schaffen. Die „Gelbe-Schein-Regelung.
Arbeitsunfähigkeitsklausel – schneller Leistung?
Bei Beantragung von Leistungen aus dieser Klausel heraus prüft der Versicherer wie üblich die Antragsobliegenheiten. Dieser Zeitraum bleibt. Er bleibt auch, wenn es um Leistung bei „Schweren Erkrankungen“ geht. Schneller kann es gehen, weil der „Gelbe Schein“, (je nach Frist in den AVB) die Leistung begründet. Sonst müsste erst entschieden werden ob eine dauerhafte Einschränkung des gewohnten Alltags (….) von mindestens sechs Monaten und über 50 % „im Sinne der Bestimmungen“ vorliegt.
Nutzen für den Versicherer.
Psychische Erkrankungen sind die Hauptursache für Berufsunfähigkeit. Das Problem, diese nachzuweisen erschwert die Leistungsentscheidung. Einen derartigen Leistungsfall meidet jeder Versicherer. In der Nachprüfung hätte er die Nachweis-Problematik der Besserung / Ausheilung.
Mit taktischen Mitteln, beispielsweise der regelmäßigen Nachforderung von Befunden und „notwendigen“ Nachweisen, weiteren gutachterlichen Maßnahmen, anzweifeln des Leistungsfalls versucht man die Bereitschaft für einen Vergleich zu erzwingen. Der Vorteil ist der begrenzte Schaden. Verhandlungsbasis ist in der Regel die Hälfte des Barwertes. Aber Achtung! Der Versicherungsschutz wird im Falle eines Vergleiches aufgelöst. Sollte der Versicherte beispielsweise durch einen Unfall in die klar nachweisbare bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eintreten, ist er unversichert.
Nutzen für den Anbieter:
Die Arbeitsunfähigkeitsklausel bietet dem Versicherer einen denkbaren „Ausweg“. Aktuell wurde ein psychisch begründeter Leistungsfall mit dem Argument des fehlenden objektiven Nachweiess bestritten(wie üblich). Über die Arbeitsunfähigkeitsklausel zahlte man die vereinbarte Rente (auch ohne Antrag). Es bleibt zu vermuten, dass die meist lange Dauer der möglichen Zahlung aus dieser Klausel heraus bei vielen Versicherern ein reines Kalkül darstellt.
Ein begutachteter Arzt hat es klar zum Ausdruck gebracht. Er übermittelt dem Versicherer seine Ansicht, dass dieser bei Eintritt in den Leistungsfall und der damit für längere Zeit gesicherten Zahlung der Rente voraussichtlich die Chronifizierung des Krankheitsbildes des Versicherten begünstigen würde.
Der Eintritt in den Leistungsfall gibt Sicherheit. Die Zusage über die Arbeitsunfähigkeitsklausel nicht. Die Motivation des Versicherten, in den beruflichen Alltag zurückzukehren ist daher größer.
Rückwirkendes Anerkenntnis:
Wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit über einen längeren Zeitraum geprüft und dann rückwirkend anerkannt, so kann das zu einem finanziellen Problem führen. Das Tagegeld ist meist höher abgesichert als die Berufsunfähigkeit. Es ist bei Bezug einer (BU-) Rente meist Tagegeld-Rückzahlungspflichtig.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Manche Anbieter verzichten auf die Rückzahlung, manche möchten nur dann eine Rückzahlung, wenn der eigene Gutachter Berufsunfähigkeit feststellte. Die Barmenia liegt mit ihrem Konzept VERSIpro an erster Stelle, wenn es um den nahtlosen Übergang von Tagegeld zu Berufsunfähigkeitsrente und damit um Verhinderung solcher Szenarien geht. Der Deutsche Ring entscheidet aufgrund der eigenen Auffassung, also möglicherweise nur auf Aktenlage und ist meiner Meinung nach daher nicht transparent und berechenbar. Einheitlich ist lediglich die Meldepflicht.
Ausnahme:
- Bei Produkten mit zugesicherten Pauschalleistungen im Falle einer bis zu einem bestimmten Zeitpunkt andauernden Arbeitsunfähigkeit als / aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, besteht in der Krankenversicherung keine Anzeigepflicht gemäß § 9 Abs. 6 MB/KT.
Voraussetzung ist, dass es sich nicht ausdrücklich um eine Krankentagegeldversicherung handelt und/oder die Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung zu Grunde liegen. Die Versicherungsleistung wird nach den aktuellen Bedingungen nicht auf das vereinbarte Krankentagegeld angerechnet. - Die Zahlung einer Leistung aus der Arbeitsunfähigkeitsklausel einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist meldepflichtig. Die Leistungen werden nicht verrechnet aber im Sinne des Bereicherungsverbots geprüft.
Fazit:
Die Fortentwicklung eine der wichtigsten Versicherungen ist grundsätzlich positiv. Ob und welchen Sinn neue Tarifmerkmale machen, liegt in der Einzelfallbetrachtung. Vieles ist in meinen Augen Werbung. Der eigentliche Wert der Absicherung liegt in der Transparenz der Leistungsregulierung. Klare Vorgaben was „ärztliche Unterlagen“, „behandelnde Ärzte“ und „notwendige Unterlagen“ im Einzelfall sind oder sein könnten, wären die begrüßenswerteren neuen Tarifmerkmale. Der Beitrag wurde sicherlich steigen. Er könnte mit den nicht mehr notwendigen Werbungskosten subventioniert werden. Es wäre demnach das erste Produkt, welches man möglicherweise nicht mehr verkaufen muss, denn es wird gekauft.
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