Warum dieser Titel?
Wer sich mit dem Thema der Berufsunfähigkeitsversicherung in der Tiefe beschäftigt, die Leistungsregulierung erfahren und analysiert hat, könnte versucht sein, von dieser Art Versicherungsschutz abzuraten. Ein fataler Trugschluss, wie ich meine. Aber nun mal der Reihe nach.
Ratschläge, Vergleichsrechner und Verbraucherschützer.
Immer wieder und leider auch häufiger, finden sich in der Öffentlichkeit „gute Ratschläge“, erst dann Versicherungsschutz zu vereinbaren, wenn ein Beruf ergriffen ist. Auch hörte ich von der Empfehlung, monatlich 2000 € zurückzulegen, um sich im Leistungsfall selbst versorgen zu können. Wer kann im Monat 2000 € zurücklegen? Wie viele Monate muss er zurücklegen, wenn er nicht weiß, ob und wann er für wie lange berufsunfähig wird? Auch Schüler und Studenten, sowie Hausfrauen/Hausmänner lassen sich versichern. Woher sollten diese die nötigen Rücklagen bedienen? Ich denke nicht mehr anführen zu müssen, um die Absurditäten, die sich regelmäßig in den Medien befinden, zu kommentieren.
Hinzu kommt, dass falsche Beratungsmodule sich im Internet verbergen und der Kunde schon bei Abschluss, sofern er die Angebote so angenommen hat und den Ratschlägen folgte, die Anfechtung/Arglist bereits eingekauft hat oder die erhoffte Leistung nicht erhält. Kurz um, man lässt keine Möglichkeit aus, den Kunden aufs Glatteis zu führen, ihn mit schönen Worten zu werben, vieles zu versprechen und sich an allen Ecken und Enden auch noch auszeichnen zu lassen. Verbraucherschützer empfehlen diese Anbieter auch noch – haften aber nicht dafür. Was der Kunde für seinen Beitrag bekommt, bleibt im Dunkeln. Vielleicht bekommt er eine Rente, wenn er einen Leistungsantrag gestellt hat. Vielleicht! Vielleicht auch nicht!
Intransparente Leistungsregulierung:
Neben der Vielzahl unklarer Vertragsbestimmungen besteht keinerlei Nachvollziehbarkeit in der Leistungsprüfung. Auch scheint es kaum Regeln zu geben, denen die Leistungsprüfung unterliegt. Ein per Post zugesendeter Leistungsantrag (Einwuf / Einschreiben) wird im Erhalt bestritten, fachärztliche Atteste, die eingereicht wurden, werden in ihrer Aussagekraft abgetan, sofern sie schon gelesen wurden. Diagnosen im Leistungsantrag überraschen noch nach Monaten die Leistungsprüfer, die davon noch nie hörten. Auch die selbst initiierten Gutachten bergen unbekannte Inhalte, denn sie werden wohl nur abgefhetet, nicht aber gelesen oder bewertet. Ist das die Regulierungskompetenz der Anbieter, die als Ratingmerkmal so gern zitiert wird?
Staatliches Versagen.
Der Staat hat sich bereits vor vielen Jahren aus Angst vor den zu erwartenden Kosten aus der Verantwortung zurückgezogen. Geblieben ist ein kläglicher Rest der Vorsorge und noch immer werden über 42 % der gestellten Anträge abgelehnt. Die Maschen des sozialen Netzes werden immer größer.
Das staatliche Versagen geht aber noch weiter. Man hat es vermissen lassen, Ratingunternehmen und die Hersteller von Vergleichsrechnern dazu zu verpflichten, die Inhalte eines Vertrages abzubilden und fachlich und vollständig zu bewerten. Stattdessen interpretieren und übersetzten die Anbieter die Vertraginhalte, meist ohne nachweisliche Fachkompetenz und im Sinne ihres Geschäftsmodells: Auszeichnungen verkaufen! Der Betrugsskandal, der durch die TK bekannt wurde, wird zusätzlich auf dem Rücken des Verbrauchers ausgetragen. Alle tragen Verantwortung aber gewesen ist es niemand.
Auch die Interessenvertretung der Versicherer scheint sich ihrer Stellung nicht bewusst zu sein. Was ist so schwer daran, wenn man die Grundsätzlichkeiten der Absicherung eines Risikos, verteilt auf eine Gemeinschaft durchdenkt? Statt der alleinigen Entscheidungsbefugnis der Anbieter, wer wann berufsunfähig ist,müssen entsprechende Handlungsrahmen vorgegeben werden.
Wer hat jetzt noch Lust, eine solche Versicherung zu beantragen?
Die Verträge der Berufsunfähigkeitsversicherung sind genau genommen nur noch eine Klageoption. Das Bewußtsein um das Risiko selbst ist in der Bevölkerung noch nicht angekommen. In der Schule wird über Versicherungen , Wirtschaft oderauch gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung kein Wort verloren. Aber das Risiko, berufsunfähig zu werden trifft jeden, bedenkt man, dass die psychischen Erkrankungen auf dem Vormarsch sind. Zu beachten ist dabei, dass viele Krankheitsbilder in der Vergangenheit noch organischen Ursachen zugeordnet wurden. Heute erkennt man, dass viele Krankheitsbilder ihre Ursache in der Psyche haben. Sogenannte somatoforme Krankheitsbilder. Sehr oft entstehen diese Kranheitsbilder auf Basis von Angstzuständen, die viele Ursachen haben.
Die Diagnosen, die in diesen Formenkreis hinein gehören, nennt man die „F-Diagnosen“. Die besondere Problematik in der Leistungsprüfung liegt darin, dass diese Dinge schwer belegbar sind. Ein gebrochenes Bein lässt sich durch das Röntgen erkennen, eine Entzündung an den Blutwerten. Woran aber erkennt man eine psychische Erkrankung und wie heilt man sie?
Sache der Politik, denn die Absicherung ist und bleibt existenziell.
Die Zeit, in der einen Leistungsantrag zu prüfen ist, sollte festgelegt werden. Welche Nachweise im Einzelnen zu erbringen sind, kann schon auch entschieden werden. Gesicherte Diagnosen dürfen nicht unter den Tisch fallen und sollten bei Eingang des Leistungsantrages, indem sie oftmals schon aufgeführt sind, zur Kenntnis genommen werden. Nachprüfbar. Stichproben gegen Bußgeldkatalog. Auch die Versicherungswirtschaft sollte reguliert werden.
Regelmäßig sollte man das Verhalten der Versicherer veröffentlichen. Das wäre doch mal ein Ratingansatz. Es sollten alle Versicherer dazu verpflichten werden, die Daten zur Leistungsregulierung, bis hin zu den einzelnen Eskalationsstufen vor Gericht zu sammeln und zur Verfügung zu stellen.
Das Entscheider von einer etwas längeren Bearbeitungszeit sprechen, wenn der Fall bereits 2,5 Jahre alt ist, man sich nicht schämt, fünf Jahre lang in der ersten Instanz zu sein, weil der eigene Gutachter die selbstmordgefährdenen Gedanken des Versicherten, der neben einem Giftschrank beruflich tätig ist, gehört namentlich veröffentlicht.
Vermutlich ist die Durchdringung bei den Mitarbeitern der Anbieter selbst die geringste. Warum wohl?
Klartext und Empfehlung:
Ohne Berufsunfähigkeitsversicherung zu leben ist möglich, aber nicht wirklich sinnvoll und empfehlenswert. Es geht beim Abschluss darum, eine möglichst klar formulierte Klageoption zu vereinbaren. Den Gewinner erkennt man auch hier am Start, denn er hat neben der sorgfältigen Auswahl der Vertragsbestimmungen auch eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Auch prüfte er die über ihn gelisteten Behandlungsdaten, bevor er den Antrag stellte.
Risikoklassen im Wandel:
Der Glaube, dass körperlich tätige Berufe das größte Risiko in sich tragen, ist nachweislich falsch. Schon vor vielen Jahren zeigte sich die Tendenz, berufsunfähig zu werden, weg von den Erkrankungen des Bewegungsapparates, hin zu Erkrankungen der Psyche. Nicht zuletzt deshalb, weil man durch den Fortschritt der Medizin hat erkennen können, dass Beschwerden, von dem man glaubte, dass sie organischer Natur sein, dem Formenkreis der F-Diagnosen zuzuordnen sind.
Ich bin davon überzeugt, dass bei staatlicher Förderung des Beitrages in frühen Jahren, die dazu noch zu erklärende Pflichtversicherung zum Erhalt des Einkommens/Status mithilfe der mit Leitplanken versehenen Leistungsregulierung, basierend auf klaren Rechtsbegriffen, allen einen Vorteil bringen würde. Beide Akteure, Staat und Versicherungswirtschaft gehören an den Tisch und sollten der Maxim folgen, nicht am Unglück des Kunden / Bürgern verdienen zu können, sondern an seiner Absicherung.
- Der Staat spart die Ausgaben für Verwaltung und Bearbeitung von Anträgen zur Erwerbsminderung, die er sowieso fast hälftig ablehnt.
- Der Staat spart für die Zusagen der Erwerbsunfähigkeitsrente die Ausgaben.
- Der Kunde gewinnt nicht nur Vertrauen, er weiß auch, dass er Leistungen erhält, wenn er seine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann.
- Die Anbieter müssen nicht in Werbung und Auszeichnungen investieren.
Der kurze Auszug soll Diskussionen, hin zum Verbraucher anregen. Werden diese Diskussionen richtig und ergebnisoffen geführt, so wird man feststellen, das Anbieter und Verbraucher im selben Boot sitzen.
Sapere aude – denn die Zeit der Aufklärung hört niemals auf.