Warum dieser Titel?

Im vertrieblichen Blickwinkel gibt es sie, die Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Gerade vertrieblich argumentiert man immer, dass ein Herzinfarkt nicht zur Berufsunfähigkeit führt. Führt er denn bei einer Absicherung gegen schwere Krankheiten zur Leistung? Gern möchte ich mir heute aus aktuellem Anlass einige Anbieter der Absicherung gegen Schwere Krankheiten in der Definition des Herzinfarktes näher betrachten. Ich bin der Meinung, dass zur Beurteilung der Qualität eines Produktes gerade die auslösenden Faktoren des Leistungsfalls zu bewerten sind. Dem Vermittler wird zugemutet, entscheiden zu können, welche der Definitionen für seinen Mandanten die sinnvollste sein könnte. Dazu müsste er, neben der „Wertigkeit“ dieser Faktoren auch die medizinische Vorgeschichte kennen und einschätzen könnten. In einem nicht allzu lange zurückliegenden Urteil wurde bestätigt, dass ein Vermittler seinen Kunden auf unklare Begrifflichkeiten aufmerksam zu machen hat. Was bliebe von einem Vertrag übrig, würden wir alle diese Punkte selektieren? Namen und Präpositionen vermutlich.

Was ist ein Herzinfarkt?

Eine anhaltende Durchblutungsstörung, auch Ischämie genannt, definiert dieses Krankheitsbild. Teile des Herzmuskels, Myokard genannt, werden in den meisten Fällen durch Blutgerinnsel in den meist ohnehin schon arteriosklerotisch (Ablagerungen) veränderten  versorgenden Blutbahnen verursacht. Es kommt zur Unterversorgung des Herzmuskels.

Ein erstes Anzeichen ist ein meist starker Schmerz im Bereich der Brust, vorwiegend linksseitig in Schultern, Armen bis hin zum Unterkiefer und über den Rücken zum Oberbauch ausstrahlend. Bei gut ein Viertel der Herzinfarkte gibt es nur geringe Beschwerden. Man nennt diese einen sogenannten „Stummen Infarkt“. Wir sind eben nicht alle gleich, wenn es um unsere Konstitution geht. Bei uns Menschen verläuft jede Krankheit individuell auf den Menschen bezogen der sie hat. Ein grippaler Infekt kann bei einem Menschen nach wenigen Tagen abgeklungen sein, ein anderer kämpft mehrere Wochen damit.

Gleich hier möchte ich darauf hinweisen, dass Angina pectoris, welches ein Symptom bezeichnet, nicht aber eine Erkrankung, genau dieselben Beschwerden aufzeigt. Der Übergang zum Infarkt ist fließend, die Abgrenzung dahingehend sehr schwer.

Unbena Vermittler auch im Arztkittel?

Nachweis Hebungsinfarkt

Klingen die typischen Symptome nach 20 Minuten nicht ab, so empfiehlt sich dringend ein EKG zur Verifikation. Treten dort typischen Hebung der sogenannten „ST-Strecke“ (ST-elevation myocardial infarction) auf, so verwendet man den Begriff Hebungsinfarkt. Tritt diese Hebung nicht auf, so kann man erst nach 3-4 Stunden und unter Hinzunahme von Laboruntersuchungen zwischen einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (N-STEMIE) und einer instabilen Angina pectoris unterschieden werden.

Grundsätzliche Möglichkeiten des Nachweises:

Gibt es die typischen Beschwerden, die oben näher erläutert wurden, so ist der Verdacht des Herzinfarktes gegeben. Eine sofortige Veränderung des EKG sowie in der Regel auch das Ansteigen von sogenannten Biomarker, also Enzymen, die durch das Absterben des Herzmuskels in die Blutbahn geraten, sind klare Nachweise.

Man unterscheidet zwei dieser Stoffe:

  • Kardialis tropnin
  • Creatin-Kinease (MB), wobei hier die Buchstaben in Klammern wichtig sind. Die Creatin-Kinease gibt es in verschiedenen Typen, daher die Notwendigkeit der Unterscheidung mit „MB“.
    hö Vermittler auch im Arztkittel?

    Myokardinfarkt der Vorderwandspitze (2) nach Verschluss (1) des vorderen absteigenden Astes (LAD) der linken Kranzarterie (LCA), schematische Darstellung (Wikipedia)

In der Schulmedizin gilt ein Herzinfarkt als belegt, wenn mindestens ein Biomarker- Nachweis mit den typischen Beschwerden des Herzinfarktes dokumentiert werden. Hier haben wir bereits das erste Problem. Was ist, wenn die Beschwerden fehlen (stummer Infarkt), die zurückbleibenden Folgen aber dieselben sind?

Folgende Anbieter wurden verglichen:

  • Allianz mit dem Tarif 230
  • die bayerische mit dem PremiumProtect
  • Barmenia mit der Opti5
  • Canada Life „Dread Disease“
  • Gothaer Perikon
  • Nürnberger mit ErnstfallSchutz
  • Swiss Life mit Vitalschutz und Option
  • Züricher Eagle Star

Grundsätzliche Deutung:

Bei Durchsicht der Bestimmungen fielen mir zwei Begriffe auf, die Deutungsspielraum/Interpretationsspielraum schaffen:

  • „Erstes“ Auftreten eines Herzinfarktes vs. rezidivierender Infarkt (ist Versicherungsschutz bei Patienten, die bereits einen Infarkt hatten grundsätzlich ausgeschlossen?). Dazu gibt es nirgends eine klare Antwort. Es könnte doch sein, dass jemand einen stillen Infarkt hatte, dieser niemals entdeckt wurde und er eine solche Absicherung vereinbaren möchte. Was dann?
  • „frisch“ (welcher Zeitraum gilt hier?)

Die Auswertung:

U-1 Vermittler auch im Arztkittel?Die Auswertung zeigt, dass jeder eine eigene Definition hat, denn zwei gleiche Zeilen gibt es nicht. Besonders interessant ist die Verneinung von STEMI und N-STEMI als Nachweis.

Abgrenzbarkeit zu anderen Erkrankungen

Die Qualität eines Produktes zeigt sich nicht ausschließlich in der Definition des Leistungsfalles sondern auch in der Abgrenzbarkeit zu anderen möglichen Leistungsfällen, die dann doch keine sind aber auch eine ähnliche Schädigung des Organes mit begründen können.

  • Weiterhin gibt es noch die chronisch ischämisch Herzkrankheit, die eine Art Dauerzustand der Unterversorgung mit sauerstoffreichem Blut im Herzmuskel beschreibt.
  • Die Herzinsuffizienz rundet das Problem durch eine dritte Art der Erkrankung ab. Die mit Herzschwäche fälschlich bezeichnete Diagnose, ist entweder eine krankhaft verminderte Pumpfunktion (systolische Herzinsuffizienz), oder / und  auch eine gestörte Befüllung der Herzkammern, (diastolische Herzinsuffizienz).
  • Angina pectoris. Die Ursachen für dieses Symptom sind nahezu identisch zu denen eines Herzinfarktes, begründen sich auf Durchblutungengpässe eines oder mehrerer Herzkranzgefäße. Wo beginnt der Infarkt und wo endet die Angina pectoris? Immerhin wird bei gut der Hälfte der Anbieter die Restpumpleistung des Herzens zur Bewertung herangezogen.

Um eine Angina pectoris differenzialdiagnostisch abgrenzen zu können, müssen verschiedene andere Krankheitsbilder, die möglicherweise vorherrschen, mit berücksichtigt/ausgeschlossen werden:

Unbena-1 Vermittler auch im Arztkittel?Betrachten wir beispielsweise Panikattacken im Zeitalter der depressiven Erkrankungen. Die Herzfrequenz steigt, es kommt, begründet durch eine leichte ischämisch Herzkrankheit und gegebenenfalls einen Mitralklappendefekt zu einer Unterversorgung des Herzmuskels. Dieser wird geschwächt, stirbt aber nicht ab. Es gibt die typischen Brustschmerzen, EKG-Veränderungen als auch Veränderung der Markerstoffe. Ist es nun ein Herzinfarkt oder eine andersartige Erkrankung? Mir ist ein solcher Fall bekannt.

Wie wichtig eine klare Abgrenzbarkeit wäre, zeigt die Höhe der Fallzahlen

  • Chronische ischämische Herzkrankheit (KHK): 69.890 Fälle
  • Akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt): 48.181 Fälle
  • Herzinsuffizienz: 44.551 Fälle

Auch stellt sich die grundsätzliche Frage, warum ein stummer Infarkt nicht zum Versicherungsfall gehört. In gut einem Viertel der Fälle treten nur geringe oder sogar gar keine Beschwerden auf. Dennoch kommt es zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen und nicht selten zu Kammerflimmern und zum plötzlichen Herztod. Ein solcher Infarkt ist nicht grundsätzlich als leichter zu bezeichnen, er löst  aus individuellen Gründen weniger Beschwerden aus.

Obliegenheiten/Arztanordnungsklausel

Schon in den Definitionen liegen mögliche Regulative des Versicherers, dann doch nicht zahlen zu müssen. Betrachten wir weitere Bestimmungen wie Wartezeiten oder auch die Arztanordnungsklausel, die anscheinend direkt aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei vielen Anbietern übernommen wurden, mehrt das die Menge der unklaren Begrifflichkeiten.

Bei einem Anbieter fanden wir den klaren Hinweis der Nachmeldung, ob jemand Raucher wird. Die Meldung hat unverzüglich zu ergehen. So ziemlich alle Anbieter rabatttieren bei Nichtraucherstatus aber wer kümmert sich über die Folgen eines späteren Beginns? Viele Verträge erwähnen die gesetzliche Schadensminderungspflicht (BG 242). Was das genau bedeutet, ist eher unklar, bedenken wir doch, dass auch im Sozialgesetzbuch V, §1 eine gesundheitsbewusste Lebensweise und das Verhalten im Sinne der Förderung von Heilmaßnahmen festgelegt ist. Dennoch gibt es Raucherzimmer im Krankenhaus. Wo beginnt die Schadensminderungspflicht und wo hört sie auf?

Eine besondere Definition zu der Hilfsmitteln:

Die →versicherte Person ist dazu verpflichtet geeignete Hilfsmittel zu verwenden. Ein Hilfsmittel ist geeignet, wenn

  • die →versicherte Person dieses bereits in der Vergangenheit verwendet hat, derzeit verwendet oder es zukünftig verwenden wird und
  • das Hilfsmittel zu einer Besserung der Beeinträchtigung von körperlichen oder geistigen Fähigkeiten führt.

Welches Hilfsmittel würde hier nicht hinein gehören?

Abschließend sei bemerkt, dass die Versicherungswirtschaft gegenüber dem medizinischen gültigen Nachweis eines Herzinfarktes durch nur einen Markerstoff und den entsprechenden Symptomen, weit mehr verlangt, den Leistungsfall zu begründen. Lediglich ein Anbieter definiert nicht klar und deutlich, wie er den Herzinfarkt dokumentiert. Er meint, dass ein medizinischer Nachweis Gültigkeit hat. Ist das nun eine gute Lösung oder eine Diskussionsbedarf begründet?

Unbe-1 Vermittler auch im Arztkittel?

Quelle. Fonds Finanz

Schlussbetrachtungen:

Es gibt keine Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung. In den Verträgen zur Absicherung gegen „Schwere Krankheiten“ herrschen unterschiedlichste Bestimmungen. Alle aber Grenzen ähnliche Krankheitsbilder zum Herzinfarkt ab und schließen stumme Infarkte aus. Die Frage was ein „frischer“ Infarkt ist und ob immer „nur ein erster“ Infarkt versichert ist, der Kunde aber bereits ein Stummen gehabt haben könnte, ist unbeantwortet. Die Beschreibung von Restleistungsvermögen bei immerhin zwei der Anbieter und auch die Obliegenheit der medikamentösen Behandlung über dieses Restleistungsvermögen hinaus, sind meines Erachtens nicht akzeptabel. Auch lässt sich nicht wirklich greifen, inwieweit solche Schädigung an der Gesamtzahl der Infarkte ihren Anteil haben. Allein in der Definition dieses einzigen Krankheitsbildes liegen Unsicherheiten in der Nachweisbarkeit, dass das Wissen darum, dass es noch weit mehr solcher Definition in den Vertragswerken gibt und diese damit in ihrer Qualität unüberschaubar werden, lässt das Haftungspotenzial, welches dem Vermittler mit wohlwollenden und werbenden Sprüchen der Anbieter und Ratingunternehmen übergeben wird, ahnen. Wer möchte das entscheiden?

Solche Produkte, meist auch als Kombiprodukte an den Markt gebracht, beinhalten eine Vielzahl Leistungauslösern. Vermutlich hat ein Vermittler, der ein solches Produkt empfiehlt und andere ausschließt, die inhaltliche Bewertung bereits vorgenommen. Richtig? 🙂

Ein Vermittler!

Das erinnert mich an den Ausspruch eines Richters der Versicherungskammer Berlin, den er den Bauhausspruch nannte:

Nichts haftet besser als ein Makler!

Frank Dietrich Fachmakler

(sapere aude)

 

 

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